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Die grössten Sorgen der Europäer

Dienstag, 5. September 2006 / 06:58 Uhr

Die dringendste Aufgabe, die es in Europa zu lösen gilt, ist die Arbeitslosigkeit. Wie in den Jahren zuvor, bereitet den Europäern auch in diesem Jahr der anhaltende Jobmangel die meisten Sorgen. Handlungsbedarf besteht ihrer Ansicht nach zudem bei den Themen Preisentwicklung, Gesundheitswesen, Wohnungsmarkt und Kriminalität.

Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder keine Stelle mehr zu finden, drückt auf die Stimmung der Europäer.

Das sind aktuelle Ergebnisse der jährlich durchgeführten Studie «Challenges of Europe», für die die GfK von April bis Juni 2006 12’000 Bürger in zehn europäischen Ländern befragte.

Ganz oben auf der Sorgenliste

Mehr als ein Drittel der Europäer bezeichnet die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als wichtige Herausforderung für Politik und Wirtschaft. In sieben der zehn untersuchten Ländern steht der Mangel an Arbeitsplätzen seit Jahren ganz oben auf der Sorgenliste. Mit Abstand am meisten trifft das auf Deutschland zu. Vier Fünftel der Bundesbürger nennen die Arbeitslosigkeit als dringendste Aufgabe, die es hierzulande zu lösen gilt. Auch für zwei Drittel der Polen und knapp zwei Drittel der Franzosen – 7 beziehungsweise 6 Prozent mehr als im Vorjahr – ist die Arbeitslosigkeit das wichtigste Thema. Am sorglosesten geben sich Russen, Holländer und Briten: Nur jeder achte Russe empfindet die Beschäftigungssituation im eigenen Land als problematisch. In Holland drückt diese Sorge nur jeden neunten, in Grossbritannien sogar nur jeden zwanzigsten Bürger.

Inflations- und Kaufkraftsorgen bei den Russen

Die Entwicklung von Preisen und Wert ihres Geldes beunruhigt die Europäer am zweithäufigsten. Jeder Fünfte bezeichnet es als ein dringend anzugehendes Thema. Den grössten Handlungsbedarf in ihrem Land sehen die Russen: Jeder dritte befürchtet, dass ihm Inflation und nachlassende Kaufkraft das Leben erschweren. Mit inzwischen 35 Prozent – gegenüber 32 Prozent im Vorjahr – steht dieses Problem in Russland auch im Jahr 2006 ganz oben und schlägt sich vor allem bei Beziehern staatlicher Leistungen und niedriger Einkommen nieder. Eine geringe Rolle spielt die Entwicklung von Preisen und Kaufkraft für Spanier, Briten und Österreicher, von denen dies jeweils weniger als 7 Prozent als wichtigste Herausforderung in ihrem Land ansehen.

Briten mit Gesundheitswesen unzufrieden

Gesundheitswesen, Wohnungsmarktsituation und Kriminalität sind europaweit die drittwichtigsten Themen, die unverzüglich angegangen werden sollten, wenn es nach 12 Prozent der Europäer geht. Dabei zeigen sich zwischen den Ländern deutliche Unterschiede. Die Briten empfinden vor allem ihr Gesundheitssystem als reformbedürftig. Dessen Unterfinanzierung führte in der Vergangenheit zu rückläufigen Krankenhauskapazitäten, Versorgungsengpässen und langen Wartezeiten. Wie ein Jahr zuvor nennt das jeder dritte Brite als wichtige Herausforderung. Kein anderes Thema bewegt Grossbritanniens Bürger mehr.

Deutsche drückt die Gesundheitsreform

In Deutschland rücken Ärztestreiks und anhaltende Diskussionen um die Gesundheitsreform das Thema auf Rang 3 der deutschen Sorgenliste. Hatten im Vorjahr noch 7 Prozent der Deutschen dies als drängendes Problem empfunden, sind es 2006 mit 15 Prozent mehr als doppelt so viele. Fast ebenso viele Polen und Italiener sehen das im eigenen Land genauso.

Russen und Spanier sorgen sich um Wohnungsmarkt

Das Thema Wohnung und Mieten wird für Europäer offensichtlich von Jahr zu Jahr wichtiger. Die aktuelle Wohnungsmarktsituation stellt vor allem für Russen und Spanier ein gravierendes Problem dar. Haben in Russland die gesunkenen Subventionen für die Bereitstellung von Wohnraum zu einem Anstieg der Mietausgaben geführt, so ist es in Spanien der Anstieg der Immobilienpreise, der vor allem für jüngere Spanier adäquaten Wohnraum zu kaum bezahlbarem Luxusgut werden lässt. 28 Prozent der Russen und 16 Prozent der Spanier nennen deshalb die Situation auf dem Wohnungsmarkt als eine der wichtigsten Herausforderungen im eigenen Land. In allen anderen Ländern spielt dieses Thema eine untergeordnete Rolle.

Angst vor Kriminalität nimmt allmählich ab

Trotz Terroraktionen in mehreren Ländern in den letzten Jahren scheint sich die Angst vor Kriminalität kaum über die Grenzen der betroffenen Länder hinweg auszuweiten. Seit den Anschlägen in New York im Herbst 2001 – infolgedessen 28 Prozent der Europäer Kriminalität als grosse Bedrohung empfanden – ist der Anteil derjenigen, die sich darum sorgen, auf 12 Prozent gesunken. 2005 waren es noch 1 Prozent mehr.

Nach wie vor zeigen sich jedoch beträchtliche nationale Unterschiede: Jeder vierte Brite beispielsweise thematisiert die Kriminalität als eine der wichtigsten nationalen Herausforderungen. Das bedeutet zwar gegenüber 2005, dem Jahr der Bombenattentate im Zentrum Londons, einen deutlichen Rückgang. Dennoch bleiben die Briten das dafür am höchsten sensibilisierte Volk. Angesichts der jüngsten Attentatsversuche an Londoner Flughäfen vor kurzem wird sich das vermutlich auch im nächsten Jahr nicht ändern.

In den Niederlanden gilt Kriminalität als die grösste Sorge überhaupt. Zwar ist auch hier eine allmähliche Entspannung zu verzeichnen. Nur noch etwa jeder fünfte – statt wie im Jahr zuvor jeder vierte –Niederländer äussert sich besorgt. Verantwortlich für das im europäischen Vergleich hohe Niveau sind sicherlich die Anschläge auf den Politiker Pim Fortuyn im Jahr 2002 und den Regisseur Theo van Gogh im Jahr 2004. Frankreich ist das einzige Land, in dem die Angst vor Kriminalität deutlich stieg, und zwar von 16 auf 22 Prozent. Das liegt offensichtlich an den Unruhen in den Vorstädten, die Ende vergangenen Jahres Frankreich in Atem hielten.

Die grössten Sorgen der Deutschen

Arbeitsmarkt, Wirtschaftsentwicklung und soziale Sicherheit sind der Deutschen grösste Sorgenkinder – selbst mehr als ein Jahr nach der Einführung des Reformpakets «Hartz IV». Dabei drängt das Thema Arbeitslosigkeit wie bereits seit vielen Jahren auch in der aktuellen Untersuchung mit 80 Prozent alle anderen Probleme in den Hintergrund. Ost-West-Unterschiede verblassen aber allmählich. Sahen 2002 noch 71 Prozent der Westdeutschen und 87 Prozent der Ostdeutschen die Arbeitslosigkeit als grösste Bedrohung an, sind es heute zwar 77 Prozent der Bürger aus den alten Bundesländern, aber auch nur noch 85 Prozent der Bürger aus den neuen Bundesländern, denen der Arbeitsmarkt am meisten Sorgen bereitet.

Am zweitwichtigsten ist den Deutschen die Existenzsicherung im Alter: 18 Prozent nennen die Rentenfrage als das für sie vordringlichste Thema, im Vorjahr waren es noch 12 Prozent. Ebenso an Bedeutung gewonnen haben die Themen Gesundheitswesen sowie Ausländer und Integration, die inzwischen von 15 beziehungsweise 13 Prozent der Deutschen – gegenüber jeweils 7 Prozent im Vorjahr –als anzugehende Herausforderungen genannt werden. Weiter gesunken ist dagegen die Sorge um die allgemeine wirtschaftliche Stabilität: Nur noch 8 Prozent, ein Drittel weniger als im Vorjahr, machen sich darum grosse Gedanken.

Zur Studie

Die dargestellten Ergebnisse stammen aus der Untersuchung «Challenges of Europe», die in ihren Grundzügen von der GfK Marktforschung im Auftrag des GfK-Nürnberg e.V. seit Anfang der 70er-Jahre durchgeführt wird und in wesentlicher Indikator für die grundlegende Stimmung in Europa ist. Befragt wurden von April bis Juni dieses Jahres 12’000 Bürger in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Spanien, Russland und – erstmals in diesem Jahr – Belgien. Die Befragung repräsentiert damit 426 Millionen Europäer. Grundlage der Untersuchung ist die offene Frage, die jedes Jahr unverändert gestellt wird: «Welches sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Aufgaben, die heute in ... (Nennung des jeweiligen Landes) zu lösen sind?» Die Befragten erhalten keinerlei beschränkende Vorgaben für ihre Antwortmöglichkeiten, Mehrfachnennungen sind möglich. (pd/keine)